Barbara Buser und Eric Honegger haben sich während 12 Jahren mit viel Herzblut um die Entwicklung des Lagerplatzes in Winterthur gekümmert. Im Gespräch blicken sie zurück auf ein ausserordentliches Projekt. Und sie verraten, was es für eine nachhaltige Arealentwicklung braucht.
Rund 320 Mal sind Barbara Buser und Eric Honegger in den vergangenen 12 Jahren nach Winterthur gefahren – meist mit dem 7-Uhr-Zug ab Basel, damit sie auf dem Lagerplatz rechtzeitig mit der Arbeit starten konnten.
Auch wir sitzen pünktlich um 9 Uhr im Turmzimmer der Stiftung Abendrot, einer Art verstecktem Cockpit des Lagerplatzes zuoberst im Bau 190. Durch die Bullaugenfenster sehen wir auf das Areal und blicken gleichzeitig zurück auf die Geschichte von Barbara Buser und Eric Honegger auf dem Lagerplatz.
Was geht Euch durch den Kopf, wenn Ihr heute auf den Lagerplatz blickt?
Eric Honegger: Das Spezielle an unserer Arbeit hier war, dass es nicht nur um einzelne Architekturprojekte ging, sondern um eine Arealentwicklung. Wir haben uns im Auftrag der Stiftung Abendrot um die Gesamtentwicklung des Lagerplatzes gekümmert.
Was war dabei für Euch besonders wichtig?
Barbara Buser: Für uns war es entscheidend, den Gebäudebestand zu erhalten. Und zwar so, dass es ökonomisch und sozial Sinn macht. Das finde ich sehr schön. Denn die Menschen und das Gemeinschaftsgefühl auf dem Lagerplatz waren mir immer das Wichtigste.
EH: Wegen den Menschen hier wurden wir ja aktiv: Wir suchten gemeinsam mit ihnen nach einem Weg, dass sie bleiben konnten. 12 Jahre später sind 95 Prozent von ihnen noch immer da. Und es sind viele weitere hinzugekommen. Das Areal und die Gemeinschaft sind miteinander gewachsen.
Wie habt Ihr die Gemeinschaft in die Arealentwicklung einbezogen?
BB: Wir haben uns immer bemüht, alle abzuholen. Es gab beispielsweise eine Zukunftskonferenz, gleich nach dem Kauf des Areals durch die Stiftung Abendrot. Dort haben wir nicht zuletzt den Frust abgefangen, der entstanden ist, weil Abendrot die Gebäude nicht wie erhofft im Baurecht abgegeben hat.
EH: Wir konnten dem Arealverein eine gewisse Mitsprache garantieren. Bei der Gestaltung der Aussenräume zum Beispiel. Sie spürten, dass sie mitbestimmen und mitgestalten dürfen.
Ihr habt Euch bemüht, die Räume auf die Nutzenden zuzuschneiden und nicht umgekehrt?
EH: Ja, die Mieterinnen und Mieter waren schliesslich vor dem Bauen da.
BB: Wir haben uns, wenn nötig, intensiv mit den Nutzerinnen und Nutzern und deren Ideen auseinandergesetzt, um Wege zu finden, ihre Ideen Realität werden zu lassen.
Was sind Eure wichtigsten Erkenntnisse aus der Arbeit hier?
BB: Für eine nachhaltige Arealentwicklung sollte man den Bestand erhalten und möglichst wenig bauen, eine bunte Mischung an Nutzungen anstreben und die Verantwortlichkeiten für Entwicklung und Architektur trennen. So haben wir das auch auf dem Gundeldingerfeld in Basel und dem Walzwerk in Münchenstein gemacht.
EH: Wir verstehen uns immer als Dienstleister fürs Ganze. Wir machen keine Aufträge, nur damit die Rendite stimmt.
Aber die Rendite stimmt trotzdem, oder?
BB: Ich behaupte, sie ist auf dem Lagerplatz höher als auf den Nebenarealen, die komplett neu überbaut wurden.
EH: Hier wurde aber auch deutlich weniger investiert.
Hat das Beispiel Lagerplatz Schule gemacht?
BB: Der Lagerplatz hat viel Beachtung gefunden – es waren viele grosse Investoren da und haben sich das Areal angeschaut. Und auch Leute aus dem Ausland, aus Berlin oder Hamburg zum Beispiel.
EH: Das Areal zeugt von seiner Geschichte und ist sehr lebendig. Das ist attraktiv. Die Bereitschaft, wirklich nachhaltige Entwicklungen zu favorisieren, ist aber immer noch viel zu gering. Der Anlagedruck führt dazu, dass Investoren weiterhin lieber alles neu bauen und sich nur selten auf Entwicklungen in kleinen Schritten einlassen. Wir hatten ein Riesenglück, den Lagerplatz Schritt für Schritt entwickeln zu können.
Wieso habt Ihr nun Eure Mitarbeit in der Projektsteuerung beendet?
EH: Weil jetzt ein guter Moment dafür ist. Der Lagerplatz trägt sich mittlerweile selber, der Rahmen ist gefestigt, die Entwicklung wird auch ohne uns weitergehen.
BB: Wir sind froh, das Projekt nun in gute neue Hände zu übergeben. Das gibt auch bei uns Platz für Neues. Der Lagerplatz wird mich aber auch künftig interessieren.
Sprechen wir noch die enge Partnerschaft mit der Stiftung Abendrot an. Wie oft habt Ihr Euch in den zwölf Jahren über Abendrot genervt?
BB: Immer mal wieder! Es war eine laufende Auseinandersetzung, ein Verhandeln, Beweisen und Rechtfertigen.
EH: Das kann viel Energie kosten. Aber es gehört dazu. Auseinandersetzungen machen ein Projekt besser. Wir hatten hier auch viele Freiheiten – mehr als in anderen Projekten.
BB: Entscheidend ist, dass wir mit Abendrot die Werte teilen. Das ist eine Basis, die eine so lange Partnerschaft überhaupt möglich macht.
Wir verlassen das Turmzimmer und schreiten mit Barbara und Eric über «ihr» Areal. Beim neuen gedeckten Platz neben dem Kino kreuzen wir einen älteren Herrn mit Hut und Hund. «Salü!» ruft er freudig aus, als er die beiden sieht. Er berichtet, wie es in der Genossenschaft Zusammenhalt läuft, die Barbara und Eric eng begleitet hatten. Auch in den Büros im Bau 181 werden Barbara und Eric herzlich empfangen.
Etwas ausführlicher Halt machen wir im Kopfbau 118, der vom Baubüro der beiden umgesetzt wurde und weitestgehend aus wiederverwendeten Baumaterialien besteht. Jedes Element an und im Bau hat eine Geschichte, die Barbara und Eric erzählen können: Sie wissen, was wo herkommt und wie die verbauten Wandtafeln, das Parkett oder verbaute Ziegel den Weg in den Bau gefunden haben.
Findet Ihr den Kopfbau schön?
BB: Wunderschön! Der Kopfbau ist das Tüpfchen auf dem i. Aber es war auch das schwierigste Projekt in der Zusammenarbeit mit Abendrot. Die Vorgabe war, dass die Investitionskosten nicht höher ausfallen als in konventioneller Bauweise mit neuen Bauteilen. Aber wir waren uns nicht einig, wie die Vergleichspreise zu ermitteln waren. Und dann wollte Abendrot alles ganz genau wissen.
EH: Unsicherheiten auszuhalten, ist eine unserer Stärken. Das fällt Investoren natürlich viel schwerer. Das haben Abendrot und wir hier zu spüren bekommen.
Aber das Resultat ist auch hier ein grosser Erfolg, oder?
EH: Es hat von beiden Seiten viel Mut gebraucht. Und der hat sich gelohnt, ja.
BB: Das Projekt hat Wellen geschlagen. Wir haben mit der Wiederverwertung ein aktuelles Bedürfnis getroffen. Ich bin überzeugt, dass darin ein enormes Potential liegt. Unser Beispiel macht bereits Schule.
EH: Mit so einem Experiment und Pilotprojekt aufzuhören, ist ein wunderbarer Abschluss.
Der Lagerplatz in Winterthur
Der 50'000 m2 grosse Lagerplatz in der Nähe des Bahnhofs Winterthur bildet den grössten zusammenhängenden Immobilienbesitz der Stiftung Abendrot. 2009 konnte das ehemalige Industrieareal der Sulzer AG abgekauft werden. In der Folge gelang es insbesondere dank dem Einsatz von Barbara Buser und Eric Honegger in der Projektsteuerung, die Gebäude gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern zu entwickeln.
Im Sommer 2021 haben sich die beiden Pioniere aus der Projektsteuerung zurückgezogen. Diese besteht seit Ende 2021 neu aus dem Winterthurer Architekten Markus Bellwald, der in Winterthur gut vernetzt ist und seine Projekt- und Bauerfahrung ins Gremium einbringen wird, Tina Puffert (Projektleiterin Stiftung Abendrot) und Eric Allmendinger (Technische Verwaltung, Vivo Immobilien).
Die Verantwortlichen der Stiftung Abendrot bedanken sich an dieser Stelle ganz herzlich für das ausserordentliche Engagement von Barbara Buser und Eric Honegger für den Lagerplatz.
Interview: Claudio Miozzari, Stiftungsrat und neuer Präsident des Anlageausschuss Immobilien, und Tina Puffert, Projektleiterin Abteilung Immobilien