Die Gemeinschaft fördern

In einer zunehmend anonymen Welt gewinnen Wohnformen, die soziale Kontakte fördern, an Bedeutung. Wo Menschen ihre Nachbarinnen und Nachbaren besser kennen, lebt es sich oft harmonischer. Gemeinschaftlich genutzte Flächen sind ein Plus zum eigenen Wohnraum. Die Möglichkeit der Mitbestimmung und Mitgestaltung stärkt die Identifikation der Mieterinnen und Mieter mit ihrem Wohnumfeld. Und: fühlen sich die Mietenden wohl, gibt es weniger Wechsel – was wiederum die gute Nachbarschaft verstärkt und den Bewirtschaftungsaufwand für Abendrot vereinfacht.

Wir bei Abendrot glauben an die Idee, Gemeinschaft möglich zu machen. Vieles haben wir ausprobiert, aber nicht alles funktioniert überall gleich gut.
Vom Arealverein mit Statuten und Budget über Begleitung durch Siedlungs-Coaches bis zu informellen Interessengruppen gibt es in den Abendrot-Liegenschaften alle Modelle. Zwei haben wir besucht und spannende Einblicke erhalten.

Modell Siedlungs-Coach
Siedlung Balance in Bülach

Die 2006 fertiggestellte Neubausiedlung Balance in Bülach umfasst 90 Wohnungen. Davon gehören 50 Wohnungen Abendrot. Die Siedlung wurde nach fortschrittlichen Nachhaltigkeitskriterien gebaut. Soziale und gemeinschaftliche Aspekte sind jedoch nicht in die Planung eingeflossen. Wegen zunehmender Lärmklagen und einer wachsenden Unzufriedenheit der Mietenden engagierte Abendrot eine Siedlungs-Coachin, um sich der Problematik anzunehmen.

Moderne Wohnhäuser mit grossen Terrassen, begrünten Fassaden und grosszügigen Freiflächen: Die Siedlung Balance bietet attraktiven Wohnraum im Zentrum einer schnell wachsenden Agglomerationsgemeinde. Die Freiflächen wurden von einer Mieterschaft, die eher die Privatsphäre schätzt, kaum genutzt. Dies bot Raum für Jugendliche aus der Gemeinde, den Hof zunehmend als Treffpunkt zu beanspruchen, wie Katharina Barandun, Siedlungscoachin, ausführt. Lärm und Abfall verärgerten die Mieterschaft und die Klagen häuften sich. Ein rasches Handeln der Liegenschaftsverwaltung wäre nötig gewesen. Diese hatte sich jedoch zu wenig engagiert, was die Unzufriedenheit der Bewohnenden weiter schürte. Eine wichtige erste Massnahme von Abendrot war es daher, die Verwaltung und die Hauswartung zu wechseln. Darauf baute Katharina Barandun auf, als sie 2020 mit der Coaching-Aufgabe startete.

Trotzdem gestaltete sich der Einstieg schwierig: Das Angehen der Problematik war dringend, aber der Ausbruch von Corona erschwerte den persönlichen Austausch. So nahmen an einem ersten Treffen nur 25 Mieterinnen und Mieter teil. Durch hartnäckiges Dranbleiben von Barandun konnte die Mieterschaft dennoch dafür sensibilisiert werden, dass ihr Engagement massgeblich ist, um eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Der Aussenraum musste durch die Bewohnenden selbst in Anspruch genommen werden, damit sich den lärmenden Jugendlichen weniger Raum bot. Gemeinsam mit den Mietenden wurde die Umgestaltung des Innenhofs geplant. Ein neuer Spielplatz entstand, der verwilderte Kräutergarten wich einer Boulebahn und Hochbeete wurden gestellt. Die mitgestaltete Möblierung des gemeinsamen Aussenraums zieht die Bewohnenden nun verstärkt in den Hof Man trifft sich dort, man kennt sich besser.

Die Mieterinnen und Mieter mussten den Mehrwert der eigenen Beteiligung zuerst entdecken. Heute werden die Vorteile, die sich daraus ergeben, gesehen und auch geschätzt. Angeschoben durch Katharina Barandun haben sich inzwischen Gruppen gebildet, die sich eigenverantwortlich um verschiedene Themen kümmern: Für die Bepflanzung der Hochbeete stellt Abendrot das Budget, die Arbeit wird von zwei Personen ehrenamtlich erledigt, ernten dürfen alle. Neuzugezogene werden von bestehenden Mieterinnen und Mietern persönlich besucht und über die Angebote in der Siedlung informiert. Zudem hat sich eine Gruppe etabliert, die regelmässige Sitzungen einberuft, Siedlungsfeste organisiert, die Website pflegt und als Verbindung zur Verwaltung fungiert.

Für die Mieterschaft in der Siedlung Balance ist das Private immer noch wichtig, doch die Kultur des Zusammenlebens wird heute viel bewusster gepflegt. «Das Verantwortungsgefühl ist grösser, wenn man die Nachbarn kennt», sagt Barandun. Kleine Gesten machen aus, dass alle mehr Sorge tragen zum Gemeinsamen. Und die Bewohnenden hätten erkannt, dass sie als Gemeinschaft etwas bewirken können. Barandun freut sich darüber. Ihr Auftrag ist seit April 2024 abgeschlossen und sie ist zuversichtlich, dass der Boden, den die Mietenden nun gelegt haben, stabil ist und fruchtbar. Und dass die heutige solidarische Nachbarschaft weiterhin gut darauf gedeihen wird.

Modell Hausverein
Goldbachweg in Basel

Mit dem Projekt Goldbachweg in Basel startete Abendrot die systematische Förderung von gemeinschaftlichen Strukturen. Die beiden auf einem grösseren Neubau-Areal eingebetteten Häuser umfassen neben 47 Wohnungen auch Platz für Kleingewerbe, Ateliers und ein Café. Abendrot initiierte die Gründung eines Hausvereins bereits vor der Fertigstellung im Jahr 2019.

Heiss ist es an diesem Sommertag am Goldbachweg, die roten Sonnenstoren verdecken die Fenster, der Grasbewuchs im gekiesten Hof wirkt durstig. Die begrünten Lauben, Zugänge zu den einzelnen Wohnungen, sind verwaist. Keine typische Situation und den Schulferien geschuldet, wie Bojan Petrovic erläutert. Er ist Vorstandsmitglied des Hausvereins und hebt gerade die verbindende Funktion der Laubengänge für ein lebendiges Miteinander hervor. Als Mittelding zwischen Treppenhaus und erweitertem Wohnraum seien sie prädestiniert als Treffpunkt. Abends stehen die Wohnungstüren häufig offen, die Kinder bewegen sich zwischen den verschiedenen Wohnungen hin und her und die Erwachsenen treffen sich im Vorbeigehen und bleiben stehen für einen Schwatz. Das man sich kennt im Gebäude ist architektonisch gewollt und ergibt sich ganz von selbst.

Andere Aspekte des Miteinanders bedingen etwas mehr Einsatz. Bojan Petrovic engagiert sich seit seinem Einzug vor fünf Jahren im Hausverein. Das Gemeinschaftliche habe eine ganz eigene Kultur entwickelt, hier am Goldbachweg, sagt er. Die Wohnungen sind schmal und was Stauraum angeht spartanisch, sie sind darauf ausgelegt, zusätzliche Räume als Hausgemeinschaft zu teilen. Dies muss organisiert und auch verwaltet werden, was dem Hausverein obliegt. Alle Mieterinnen und Mieter der Abendrot-Liegenschaften sind mit Unterzeichnen des Mietvertrags automatisch Mitglied dieses Vereins. Sie bezahlen einen kleinen Beitrag, der an den Mietzins gekoppelt ist. An zwei Sitzungen im Jahr werden Anliegen behandelt und Entscheide gefällt. Viele engagieren sich daneben aktiv in Interessengruppen und kümmern sich um einzelne Räume oder Aktivitäten. Es gibt beispielsweise eine Dachgartengruppe, die dort für Ordnung und Begrünung sorgt, Gruppen für die Gemeinschaftsräume, die Waschsalons. Sie fungieren als Schnittstelle zur Verwaltung, organisieren Putztage und Apéros. Bei geringem Aufwand vermitteln diese Gruppen ein Gemeinschaftsgefühl, das sehr geschätzt wird. So kennt man sich, teilt neben den institutionalisierten Einrichtungen auch gerne mal Bohrmaschine oder Küchenmixer und ein verbindendes Lebensgefühl.

Petrovic schätzt, dass rund drei Viertel der Mieterinnen und Mieter in irgendeiner Form engagiert sind oder zumindest aktiv den Partizipationsgedanken mittragen. Und dies trotz grosser Heterogenität bezüglich Alter und Herkunft. Petrovic, der sich als Architekt auch beruflich mit gemeinschaftlichen Wohnstrukturen beschäftigt, freut sich sehr über diesen Beweis, dass Menschen dazu animiert werden können, das Gemeinschaftliche zu leben. «Wir haben uns als Gruppe eine Konfliktlösungs- und Gesprächskultur angeeignet, und uns durch das Teilen von Dingen auch menschlich weiterentwickelt», ist er überzeugt. Für die Zukunft wünscht er sich, dass alles, was am Goldbachweg als Gemeinschaft erreicht wurde, Bestand hat und sich auch weiterhin positiv entwickelt.

Datenschutzhinweis

Ihre Privatsphäre ist uns wichtig. Wir sammeln Verhaltensdaten nur anonymisiert und nur zur Reichweitenmessung. Mehr dazu erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung.